Weg-Wort vom 13. November 2019
Dass in der Halle des Hauptbahnhofs Zürich ein riesiger Engel hängt, weiss man. Schliesslich schwebt der „Ange protécteur“ (Schutzengel) von Niki de Saint Phalle bereits seit 22 Jahren über den Köpfen der Menschen. Und dass er eine theologisch ausgebildete Person, die in der Bahnhofkirche arbeitet, zu einem Weg-Wort herausfordert, wird niemanden überraschen. Zu mehr als einem: Mindestens drei müssen es sein!

Ange protécteur, Niki de Saint Phalle,
Foto: Roland Fischer, Zürich/Wikimedia Commons
Schutzengel? Was schreibe ich? Engelin! Denn weiblicher als hier geht es jetzt wirklich nicht. Eine währschafte Matrone ist sie, mit ihren grossen Brüsten, dem gebärfreudigen Becken, den weichen Rundungen. Und dazu ist sie wunderbar bunt. Die pralle Lebenslust fliegt einem da entgegen.
In ihren Händen hält sie diese Krüge, mit denen sie eine munter blinkende Flüssigkeit hin und her schüttet. Bringt sie mir was Feines mit? Eine Schutzengelin wie eine Schenkenwirtin! Wohlan – Göttliches darf genüsslich sein.
Allerdings: Ihre Anflugbahn könnte wohl ein bisschen schepps geraten. Denn die schöngoldenen Flügel sind bös zerlöchert. Ist sie vielleicht sogar vom Kurs abgekommen? Hat sie sich gar hier hin verflogen, in den Bahnhof?
Ach – solch eine Engelin tut wohl. Sie ist wie ich: So unperfekt, von Lebensflügen gezeichnet, unschlank, manchmal zerzaust und durcheinander, manchmal flügellahm.
Von der lass ich mich gern beschützen, denn die weiss, wie das Leben läuft.
Danke, Gott, für die „Ange protécteur“.