Weg-Wort vom 5. September 2019
Julia lebt in Bern. Sie hat eine Teilzeitanstellung in Zürich und ein weiteres kleines Pensum in Fribourg. Ihr Partner lebt in Winterthur. Sie verbringen v.a. die Wochenenden miteinander, mal bei ihr, mal bei ihm. Julia ist über Social Media mit Menschen in der ganzen Welt verbunden. Sie ist kein Einzelfall. Viele Menschen leben so. Ihr Alltag ist fragmentiert. Sie sind ein bisschen überall daheim. Es geht ihnen gut dabei.
Von ihrer Kirche wird Julia einer Kirchgemeinde zugeteilt. Da wo sie ihren Wohnsitz hat, da gehört sie hin. Julia wurde nie gefragt, ob sie das selber auch so sieht. Die Gemeinde bietet interessante Dinge an: Gemeindeabende, Gottesdienste, Kulturprojekte. Aber Julia ist selten da, wenn etwas stattfindet. Der Glaube sei halt keine Privatsache, sagt die Pfarrerin. Er vollziehe sich in der Gemeinschaft, im Teilen. Und Gottesdienst heisse, den Glauben miteinander zu feiern.
Entspricht diese landeskirchliche Sicht wirklich der Lebenswirklichkeit ihrer Mitglieder? Das Modell der Kirche als Ortsgemeinde ist biblisch stark vom Apostel Paulus geprägt. Auf ihn geht die Vorstellung zurück, die Glaubenden seien durch Taufe und Glaube ein Leib, sie seien Glieder im Leib Christi, also eine Art gemeinschaftlicher Organismus. Die vier Evangelien bieten ein anderes Modell. Sie zeigen den Wanderprediger Jesus, der nirgends und doch überall daheim ist. Sie zeigen seine Begegnungen mit einzelnen Menschen. Er nimmt ihre spezifische Lebenssituation wahr und gibt ihnen einen Impuls mit: Worte, Geschichten, Handlungen, die aufrütteln, neue Perspektiven eröffnen, befreien. Meist trennen sich die Wege dann wieder.
Kirche als Gemeinschaft im Vorübergehen, als intensive Begegnung, die mich weiterbringt, auf meinem individuellen Weg. Wie wär’s damit?